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Zulässigkeit des Verwaltungszwanges | Fritz Rietdorf/Hubertus Waldhausen/Friedhelm Voss/Josef Susenberger/Jürgen Weißauer | Praxis der Kommunalverwaltung | A 19 NW |
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(1) Der Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
(2) Der Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.
(3) Ist der Verwaltungsakt auf Herausgabe einer Sache gerichtet und bestreitet der Betroffene, sie zu besitzen, so findet § 44 Abs. 3 und 4 sinngemäß Anwendung.
Erzwingbare Verwaltungsakte i. S. d. § 55 werden nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts „vollzogen“ (§ 56). Das Gesetz spricht von „Vollzugsbehörde“ und „Vollzugsauftrag“ und faßt Androhung, Festsetzung und Anwendung der Zwangsmittel unter dem Begriff Vollzug zusammen (§ 65 Abs. 3, Überschrift zu § 76). Dieser Begriff deckt sich mit dem Begriff Vollziehung von Verwaltungsakten in § 113 Abs. 1 und § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Wegen der unterschiedlichen Bedeutung von „sofortiger Vollziehung“ eines Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO und der Anwendung des Verwaltungszwangs ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt („sofortiger Vollzug“) nach § 55 Abs. 2 vgl. Nr. 55.23 und Nrn. 55.3 bis 55.33.
Unter Verwaltungszwang versteht das Gesetz die Erzwingung einer behörlich angeordneten Handlung, Duldung oder Unterlassung durch den Einsatz der in § 57 zugelassenen Zwangsmittel gegen den Betroffenen.
Verwaltungszwang in der Form des unmittelbaren Zwanges (§ 62) ist auch zu anderen Zwecken als denen des Vollzugs eines Verwaltungsaktes denkbar. Seine Zulässigkeit richtet sich dann ausschließlich nach den §§ 66 bis 75.
Verwaltungszwang setzt grundsätzlich (wegen der Ausnahmen vgl. Nr. 55.3) einen rechtmäßigen Verwaltungsakt voraus, mit dem von dem Betroffenen ein Handeln, Dulden oder September 2013 287 September 2013 288 Unterlassen verlangt wird. Welche Behörde (§ 56) den Verwaltungsakt erlassen hat, ist unerheblich. Der Zweite Abschnitt des Gesetzes gilt – mit Ausnahme der Polizei, für die die entsprechenden Vorschriften des PolG NW vom 25. März 1980 (GV. NW. S. 234) * gelten – für alle Behörden und Einrichtungen des Landes sowie für Gemeinden, Gemeindeverbände und der Landesaufsicht unterstehende Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, wenn und soweit sie oder ihre Organe einen Verwaltungsakt im Sinne des § 55 erlassen dürfen.
Der Verwaltungsakt muß entweder ein Gebot zur Vornahme einer Handlung, insbesondere zur Herausgabe einer Sache, oder zur Duldung eines bestimmten Geschehens oder eines Zustandes enthalten oder er muß auf ein Verbot unzulässigen Verhaltens (= Gebot, etwas zu unterlassen) gerichtet sein. Andere Verwaltungsakte sind ihrer Natur nach nicht vollzugsfähig.
Der Verwaltungsakt darf regelmäßig erst vollzogen werden, wenn er unanfechtbar geworden ist. Unanfechtbar wird ein Verwaltungsakt, wenn der Betroffene ihn nicht fristgemäß mit Widerspruch und nachfolgender Verwaltungsklage anficht oder im Widerspruchs- und Prozeßverfahren unterliegt, insbesondere wenn der Verwaltungsakt durch rechtskräftige Abweisung einer Anfechtungsklage bestätigt wird. Wegen der Anfechtung von Verwaltungsakten vgl. den grundsätzlichen RdErl. d. Innenministeriums vom 21. 12.
1960 betr. das Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (SMBl. NW. 2010).
Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ist dann keine Voraussetzung für seinen Vollzug, wenn nach § 80 Abs. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage entfällt. Das ist u. a. der Fall, wenn der Verwaltungsakt, z. B. auf Herausgabe von Urkunden (§ 44 Abs. 2), bei (= im Zusammenhang mit) der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten ergeht. Die wichtigsten Fälle sind diejenigen, in denen unter Beachtung von § 80 Abs. 3 –7 VwGO die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes ausdrücklich angeordnet wird. Dabei ist besonders zu beachten, daß diese Anordnung – abgesehen von den ausdrücklich als solche bezeichneten Notstandsmaßnahmen (§ 80 Abs. 3) – stets unter Angabe bestimmter Tatsachen und Umstände, aus denen sich das „besondere Interesse“ am raschen Vollzug ergibt, zu begründen ist. Der allgemeine Hinweis, die sofortige Vollziehung sei „im öffentlichen Interesse notwendig“, genügt nicht, abgesehen davon, daß auch das ebenfalls zu begründende „überwiegende Interesse eines Beteiligten“ die Anordnung rechtfertigen kann.
Von der nur unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1– 2. Halbsatz gegebenen Vollziehbarkeit des durchzusetzenden Verwaltungsaktes ist zu unterscheiden die grundsätzliche Vollziehbarkeit der zum Vollzug des Verwaltungsaktes ergangenen „Maßnahmen der Vollzugsbehörden“ – Androhung, Festsetzung und Anwendung der Zwangsmittel – nach der Regelung in § 8 AG VwGO: Die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen entfällt immer, kann aber freilich gemäß § 80 Abs. 4 –7 VwGO angeordnet werden.
Der sofortige Vollzug einer tatsächlichen Maßnahme (§ 55 Abs. 2) ist nicht dasselbe wie die in Nr. 55.23 behandelte „sofortige Vollziehung“ eines Verwaltungsaktes. Es handelt sich vielmehr dabei um den Sonderfall der sofortigen Verwirklichung einer hoheitlichen Maßnahme durch unmittelbaren Zwang oder Ersatzvornahme, ohne daß der behördliche Wille zuvor in einem erst zu vollziehenden Verwaltungsakt nach außen zum Ausdruck gekommen ist. Sofortiger Vollzug ist nur unter zwei Voraussetzungen rechtmäßig:
September 2013 288 September 2013 289Die Vollzugsbehörde muß „innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse“ handeln, d. h. sie müßte kraft gesetzlicher Vorschrift berechtigt sein, einen entsprechenden Verwaltungsakt zu erlassen, wenn sie unter normalen Umständen Zeit und Gelegenheit dazu hätte.
Der sofortige Vollzug muß zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig sein. Die gegenwärtige Gefahr ist gegeben, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Das kann der Fall sein zur Verhinderung einer mit Strafe oder Geldbuße bedrohten Handlung (nicht zur Strafverfolgung nach geschehener Tat).
Eine formelle Androhung des Verwaltungszwangs i. S. des § 63 kommt im Falle des „sofortigen Vollzugs“ seiner Natur nach regelmäßig nicht in Frage (§ 63 Abs. 1 Satz 3). Das schließt im geeigneten Einzelfall nicht einen mündlichen Hinweis (Lautsprecher!) auf die beabsichtigte Maßnahme aus.
Nach Absatz 3 kann eine Behörde, die einen Anspruch auf Herausgabe einer Sache hat (z. B. eines Führerscheines), von dem Betroffenen die Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung verlangen, wenn dieser behauptet, die Sache nicht zu besitzen.
Erläuterungen
In § 55 Abs. 3 VwVG NRW wurde die Paragrafangabe „§ 44 Abs. 3 bis 5“ durch die Paragrafangabe „§ 44 Abs. 3 und 4“ ersetzt durch G. v. 18. 12. 2002 (GV. NRW. 2003 S. 24).
Neufassung vom 24. 2. 1990 (GV. NW. S. 70), geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 24. 11. 1992 (GV. NW. S. 446).