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Eine berufsständische Vertretung darf für ihre Mitglieder kein System von Pflichtfortbildungen vorsehen, das teilweise den Wettbewerb ausschaltet und diskriminierende Bedingungen zum Nachteil von Wettbewerbern auf dem Fortbildungsmarkt schafft. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 28.02.2013 anlässlich einer Vorlage zum System der obligatorischen Fortbildung der portugiesischen Zwangsvertretung für geprüfte Buchhalter entschieden. Ein solches System stelle eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung dar und verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Az.: C-1/12).
In Portugal müssen geprüfte Buchhalter nach einem Erlass ihrer berufsständischen Zwangsvertretung (OTOC) über die Qualitätssicherung im Zeitraum der jeweils letzten beiden Jahre jährlich durchschnittlich 35 Punkte durch Fortbildungen erwerben, die von der OTOC erteilt werden oder von ihr anerkannt sind. Ein weiterer Erlass der OTOC über den Erwerb dieser Fortbildungspunkte unterscheidet zwischen «institutioneller Fortbildung» und «beruflicher Fortbildung». Die «institutionelle Fortbildung» (mit einer Dauer von bis zu 16 Stunden) dient der Sensibilisierung der Berufsangehörigen für Gesetzesinitiativen und -änderungen sowie für Fragen ethischer und berufsrechtlicher Art. Sie kann nur von der OTOC erteilt werden und jeder geprüfte Buchhalter muss in ihr jährlich 12 Punkte erwerben. Die «berufliche Fortbildung» (mit einer Moduldauer von mindestens 16 Stunden) umfasst Studientagungen zu beruflichen Themen. Diese Fortbildung kann auch von Einrichtungen erteilt werden, die bei der OTOC registriert sind. Darüber, ob eine Fortbildungseinrichtung registriert und von dieser angebotene Fortbildungsmaßnahmen anerkannt werden, entscheidet die OTOC nach Entrichtung einer Gebühr.
Die portugiesische Wettbewerbsbehörde stellte 2010 fest, dass das durch den Erlass über den Erwerb von Fortbildungspunkten etablierte System der obligatorischen Fortbildung geprüfter Buchhalter den Wettbewerb europarechtswidrig verzerre. Gegen die OTOC wurde daher eine Geldbuße verhängt. Der Markt sei künstlich segmentiert worden, indem ein Drittel des Marktes der OTOC selbst vorbehalten worden sei (12 von insgesamt 35 Punkten) und auf dem restlichen Teil des Marktes diskriminierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber dieser berufsständischen Vertretung bestünden. Die OTOC klagte vor den portugiesischen Gerichten gegen diese Entscheidung. Der Lissaboner Apellationshof rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung von Fragen zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf berufsständische Vertretungen.
Der EuGH hat entschieden, dass eine berufsständische Vertretung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstößt, wenn sie für ihre Mitglieder ein System von Pflichtfortbildungen etabliert, das den Wettbewerb auf einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes ausschaltet und im übrigen Teil diskriminierende Bedingungen zum Nachteil ihrer Wettbewerber auf dem Fortbildungsmarkt schafft. Er legt dar, dass ein von einer berufsständischen Vertretung wie der OTOC angenommener Erlass einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV darstelle. Dass eine berufsständische Vertretung gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung zu errichten, entziehe die von ihr erlassenen Normen nicht dem Anwendungsbereich des EU-Wettbewerbsrechts, sofern diese Normen ausschließlich ihr zuzurechnen seien. Sei die berufsständische Vertretung auf dem Markt, auf dem ihr ein EU-Wettbewerbsverstoß vorgeworfen werde, selbst wirtschaftlich tätig, sei es außerdem auch ohne Bedeutung, dass sich diese Normen nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder der berufsständischen Vertretung auswirken.
Ob der streitige Erlass nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt hat, müsse das portugiesische Gericht prüfen. Dafür gibt der EuGH dem Gericht aber einige Kriterien an die Hand. Dieses müsse zunächst die Struktur des Marktes untersuchen, um zu ermitteln, ob die Unterscheidung zwischen institutioneller und beruflicher Fortbildung gerechtfertigt ist. Seien die beiden Fortbildungsarten zumindest teilweise austauschbar (zum Beispiel sei nicht ausgeschlossen, dass Entwicklungen in der Gesetzgebung nicht nur Gegenstand der institutionellen, sondern auch der beruflichen Fortbildung sein können), sei die Unterscheidung nicht gerechtfertigt. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der fragliche Erlass einen nicht unbedeutenden Teil des Marktes der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter der OTOC vorbehält. Bezüglich der Fortbildungsdauer müsse das Gericht prüfen, ob andere Fortbildungseinrichtungen, die Fortbildungsprogramme von kurzer Dauer anbieten wollen, daran gehindert werden, was das normale Verhältnis von Angebot und Nachfrage stören würde. Es müsse auch untersuchen, ob die Pflicht, jährlich mindestens 12 Punkte in der institutionellen Fortbildung zu erwerben, den von der OTOC durchgeführten Fortbildungsmaßnahmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könne.
Das portugiesische Gericht muss laut EuGH außerdem die Marktzugangsbedingungen für andere Einrichtungen als die OTOC klären, um zu überprüfen, ob die Chancengleichheit der unterschiedlichen Marktteilnehmer sichergestellt ist. Die von der OTOC erteilte berufliche Fortbildung unterliege anders als die anderer Fortbildungseinrichtungen keinem Anerkennungsverfahren. Zudem seien die von anderen Fortbildungseinrichtungen zu erfüllenden Kriterien in dem Erlass wenig präzise gefasst. So könne die OTOC nach ihrem Erlass über die Anträge auf Registrierung oder Anerkennung einseitig entscheiden, ohne dass diese Befugnis Beschränkungen, Bindungen oder einer Kontrolle unterliege. Dies könne dazu führen, dass die OTOC den Wettbewerb verfälscht, indem sie ihre eigenen Fortbildungsmaßnahmen begünstigt. Der EuGH unterstreicht auch, dass das von der OTOC geregelte Verfahren zur Anerkennung der Fortbildungsmaßnahmen das Angebot der anderen Fortbildungseinrichtungen begrenzen könne, da der Antrag auf Anerkennung mindestens drei Monate vor Beginn der Fortbildung gestellt werden müsse. Dies nehme diesen Einrichtungen faktisch die Möglichkeit, aktuelle Fortbildungsmaßnahmen unverzüglich anzubieten. Schließlich weist der EuGH darauf hin, dass solche Beschränkungen zum einen über das hinauszugehen scheinen, was zur Sicherstellung der Qualität der von den geprüften Buchhaltern angebotenen Dienstleistungen erforderlich ist, und zum anderen nicht von den im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen erfasst werden.
Die Entscheidung des EuGH finden Sie auf dessen Website.