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Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte möglichst aufzuheben. "Es geht hier nicht um Privilegien, sondern um die Rücknahme von Grundrechtsbeschränkungen", sagte sie. Und weiter: "Nicht die Ausübung von Grundrechten bedarf der Rechtfertigung, sondern die Einschränkung der Grundrechte durch den Staat."
Je intensiver die Grundrechtseingriffe seien, desto höher seien auch die Anforderungen an die Begründung einer Maßnahme. Wenn sicher feststehe, dass von Geimpften keine Gefahr für andere ausgeht, falle ein wichtiges Begründungselement für den Grundrechtseingriff weg, so die Ministerin gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland weiter. Umgekehrt gelte aber auch: "Solange nicht wissenschaftlich sicher belegt ist, dass die Impfung auch vor einer Weitergabe des Virus schützt, kommt eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften gegenüber Nicht-Geimpften nicht in Frage."
Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte vergangenen Sonntag gefordert, Menschen mit Corona-Impfung früher als anderen den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte Ende Dezember vor Privilegien für Geimpfte gewarnt. Das könne eine Impfpflicht durch die Hintertür bedeuten und die Gesellschaft spalten. Zwischenzeitlich hatte sich nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert: Man wisse derzeit nicht, ob Geimpfte andere anstecken können. Solange stelle sich die Frage von Privilegien überhaupt nicht. Es gehe jedoch nicht um Privilegien, sondern um die Rücknahme von Grundrechtsbeschränkungen, betonte nunmehr Lambrecht.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, betonte wie Lambrecht, dass es für Freiheitseinschränkungen dann keinen Rechtfertigungsgrund mehr gebe, wenn geimpfte Personen nachweislich nicht nur vor eigener Erkrankung geschützt seien, sondern von ihnen auch keine Ansteckungsgefahr ausgehe.
Außerdem warf Papier den politischen Entscheidern vor, sich in der Corona-Krise zu sehr an Naturwissenschaftlern zu orientieren. "Mich stört, dass so manche Verantwortliche in der Politik offensichtlich meinen, man dürfe in Zeiten der Pandemie so ziemlich alles an Einschränkungen vornehmen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitagsausgaben). "Sie orientieren sich auch vornehmlich an den Ratschlägen von Naturwissenschaftlern und hören zu wenig auf Verfassungsjuristen und Sachverständige, die etwas sagen könnten zu den gesellschaftlichen Nebenwirkungen der Corona-Bekämpfung." Man müsse auch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen der Menschen im Auge behalten, forderte Papier. "Die Politik ist auch dem Freiheitsschutz der Bürger verpflichtet. Die Menschen in diesem Land sind keine Untertanen." Mit Blick darauf, dass in der Pandemie viele Entscheidungen von den Regierungen in Bund und Ländern und nicht von den Parlamenten getroffen werden, sagte Papier: "Ich hätte mir als Staatsrechtler nie vorstellen können, dass derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden."
"Eine Impfpflicht kann zulässig sein", Interview mit Stephan Rixen vom 21.01.2021
Greve, Infektionsschutzrecht in der Pandemielage - Der neue § 28a IfSG, NVwZ 2020, 1786
Pautsch/Haug, Parlamentsvorbehalt und Corona-Verordnungen - ein Widerspruch, NJ 2020, 281
Klafki, Mehr Parlament wagen? - Die Entdeckung des Art. 80 IV GG in der Corona-Pandemie, NVwZ 2020, 1718
Brocker, Exekutive versus parlamentarische Normsetzung in der Corona-Pandemie, NVwZ 2020, 1485
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