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Windau: Zur Anfechtbarkeit der Ablehnung einer Videokonferenzverhandlung | RDi 2020, 63 |
§§ 128 a I, II, III 3; 567 I Nr. 1, 2, II ZPO, § , 114 I 3, III ArbGG§§ 110 a III 2, 211 I 3, III SGG
Die gerichtliche Anordnung oder Versagung einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung im Falle einer Pandemie gem. § (ebenso 114 ArbGG§ ) ist nicht anfechtbar. (Amtlicher Leitsatz) 211 SGG
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 2.7.2020 – 4 Ta 200/20
Die Klägerin in einem Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf hatte beantragt, ihr während des auf den 9.7.2020 anberaumten Gütetermins gem. § zu gestatten, sich in den Kanzleiräumen ihrer Prozessbevollmächtigten in Hamburg aufzuhalten. Dazu verwies sie auf die zu diesem Zeitpunkt sehr hohe Zahl an Covid-19-Neuinfektionen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. 114 III 1 ArbGG
Das Arbeitsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 2.7.2020 zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die dafür erforderliche Technik nicht zur Verfügung stehe, privat beschaffte Technik nicht genutzt werden dürfe und ausreichende Schutzmaßnahmen im Gericht vorhanden seien.
Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Das LAG hat die sofortige Beschwerde mangels Statthaftigkeit als unzulässig verworfen und dazu die Regelung in § entsprechend herangezogen. 128 a III 2 ZPO
Die sofortige Beschwerde sei zwar grundsätzlich gemäß § statthaft, da die Entscheidung des Arbeitsgerichts gemäß 567 I Nr. 2 ZPO§ eine mündliche Verhandlung nicht erforderte und ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen habe, nämlich der Klägerin zu gestatten, den Termin an einem anderen Ort bei zeitgleicher Bild- und Tonübertragung wahrzunehmen. Die sofortige Beschwerde sei hier aber abweichend von der allgemeinen Regelung in 114 III ArbGG§ gemäß 567 I Nr. 2 ZPO§ ausdrücklich ausgeschlossen. 128 a III 2 ZPO
Dieser Ausschluss des Rechtsmittels gelte auch für die Pandemie-Sonderregelungen in § und 114 III ArbGG§ . In den Absätzen 1 und 2 dieser Regelungen seien ausdrücklich „von 211 III SGG§ abweichende“ Regelungen für ehrenamtliche Richter (Abs. 1) sowie für die Abstimmung und Entscheidung eines Spruchkörpers (Abs. 2) getroffen. Dagegen regele der jeweilige Absatz 3 lediglich einen Sonderfall des 128 a ZPO§ und schränke das Ermessen des Gerichts dahingehend ein, dass das Gericht den Parteien und ihren Bevollmächtigten bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach 128 a I ZPO§ „im Falle des 5 I 1 Infektionsschutzgesetzes§ “ von Amts wegen gestatten soll, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und von dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Während die Absätze 1 und 2 der Regelungen jeweils „Abweichendes“ zu 128 a der Zivilprozessordnung§ bzw. 128 a ZPO§ regelten, fügten sich die jeweiligen Regelungen in Abs. 3 ausdrücklich in die allgemeinen Regelungen von 110 a SGG§ und 128 a ZPO§ ein. Die allgemeinen Regelungen gälten damit auch für die Pandemie-Sonderregelung in Absatz 3, also insbesondere, dass die Übertragung nicht aufgezeichnet wird (Satz 1) und Entscheidungen über die Gestattung unanfechtbar sind (Satz 2). 110 a SGG
In Anbetracht der klaren Regelung in § und 128 a III ZPO§ hätte zudem ein abweichender Wille des Gesetzgebers im Pandemie-Sondergesetz oder zumindest im Gesetzgebungsverfahren Niederschlag finden müssen. 110 a III SGG
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Windau: Zur Anfechtbarkeit der Ablehnung einer Videokonferenzverhandlung(RDi 2020, 63)
Und eine solche Auslegung sei zuletzt auch deshalb zwingend, weil sonst kein Aufzeichnungsverbot für die Übertragung der Verhandlung zu den Parteien und ihren Bevollmächtigten und Beständen bestünde. In § und 114 I 3 ArbGG§ sei ein solches nur für die Bild- und Tonübertragung zu ehrenamtlichen Richtern statuiert und in den jeweiligen Absätzen 2 für die Beratung und Entscheidung der Spruchkörper. Ein Aufzeichnungsverbot sei indessen auch für die Verhandlung aus datenschutzrechtlichen Gründen unabweisbar geboten. 211 I 3 SGG
Die Entscheidung ist – soweit ersichtlich – die erste veröffentlichte obergerichtliche Entscheidung zu den Pandemie-Sonderregelungen in §§ und 211 SGG. Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber im Rahmen des Sozialschutz-Pakets II (BGB I 2020, 1055) zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit Sonderregelungen geschaffen (zu noch weitergehenden Vorschlägen s. z. B. Oltmanns/Fuhlrott 114 ArbGGDB 2020, ), mit denen aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Nutzung von Videokonferenztechnik im Anwendungsbereich des ArbGG und SGG gefördert werden sollte (s. die Begründung des RegE, BT-Drucks. 19/18966, S. 30-32; ausf. Francken 841NZA 2020, f.), sehr kritisch Greger 681 ( 683MDR 2020, ff.). Anstelle des lediglich pflichtgemäßen Ermessens in den Regelungen des 957 Rn. 22§ (i. V. m. 128 a ZPO§ ) bzw. 46 II ArbGG§ reduzierte der Gesetzgeber das Ermessen dahin, dass es im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Regelfall zu gestatten sei, eine Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung zu ermöglichen. Dabei unterlag der Gesetzgeber jedoch wohl einer nicht unerheblichen Fehleinschätzung über den tatsächlichen Zustand der Ausstattung der Arbeits- und Sozialgerichte (S. dazu einerseits den RegE, BT-Drucks. 19/18966, S. 28 und andererseits die Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 245/20 S. 2). Das zeigen nicht zuletzt die hier zu besprechende Entscheidung und die vorangegangene Entscheidung des ArbG Düsseldorf ( 110 a SGG = , Beschl. v. 25.6.2020 – 9 Ca 3273/20BeckRS 2020, ). Noch immer verfügen viele Gerichte nicht über die für Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung erforderliche Hard- und Software. 17871
Insoweit erscheint allerdings schon im Ausgangspunkt zweifelhaft, ob das ArbG Düsseldorf in der Ausgangsentscheidung tatsächlich die fehlende Ausstattung im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigen durfte. Denn mit dem Ziel des (Bundes-)Gesetzgebers, die Nutzung von Videokonferenztechnik zu fördern, scheint es kaum zu vereinbaren, könnten die Länder bzw. Gerichtsverwaltungen diese eindeutige gesetzgeberische Wertentscheidung unterlaufen, indem sie die erforderliche Ausstattung unterließen. So ist teilweise die Rede von einem „gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßender Übergriff der Justizverwaltung“, wenn das Gericht dazu genötigt werde, „zweckwidrige fiskalische Erwägungen des Beschaffungsaufwandes oder gar eine Verweigerungshaltung zu berücksichtigen und so den vom Gesetz verlangten Regelfall zur Ausnahme machen“ (s. Fichte/Jüttner/Schreiber, SGG, 3. Aufl. 2020, § 211 Rn. 9). Angesichts der Neuregelung im ArbGG und SGG spricht viel dafür, dass jedenfalls in diesen Gerichtsbarkeiten inzwischen eine Pflicht der Gerichtsverwaltungen besteht, die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen in §§ , 211 SGG auch zur Geltung zu verhelfen (ebenso z. B. Fichte/Jüttner/Schreiber, SGG, § 211 Rn. 9; für 114 ArbGG§ auch BeckOK-ZPO/von Selle, 38. Ed. 09/20, § 128 a Rn. 2.2; Windau 128 a ZPONJW 2020, , anders die h. M., s. nur MKLS/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 110 a Rn. 3, zu 2753 Rn. 19§ s. auch Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, 12. Aufl. 2020, § 128 a Rn. 1). Besteht eine solche Ausstattungspflicht, kann die tatsächliche Ausstattung für die Ermessensauübung nicht relevant sein (s. ausführlich Windau 128 a ZPONJW 2020, ; ebenso 2753, Rn. 19BeckOK-ZPO/von Selle, § 128 a Rn. 5).
Daneben scheint trotz der sehr sorgfältigen Begründung auch das Ergebnis – die Unanfechtbarkeit zurückweisender Beschlüsse im Anwendungsbereich von §§ , 211 III SGG – nicht zweifelsfrei. Gerade die Umkehrung des Regel-/Ausnahme-Verhältnisses und der erklärte Zweck des Gesetzgebers, die Nutzung von Videokonferenztechnik zu fördern, legen bei der Frage der Anfechtbarkeit eher ein beredtes Schweigen nahe (anders aber z. B. Schlegel/Voelzke/Herbst, jurisPK-SGG (Stand: 24.9.2020), § 211, Rn. 36). Und auch das vom LAG Düsseldorf angeführte Argument der fehlenden Verweisung in 114 III ArbGG§ auf 114 III ArbGG§ und das damit scheinbar fehlende Verbot einer Aufzeichnung überzeugt kaum. Denn einerseits hat der Gesetzgeber dies – nicht aber die (Un-)Anfechtbarkeit – ausdrücklich im Rahmen der Begründung klarstellt (BT-Drucks. 19/18966 S. 30). Und andererseits hat er das Verbot in 128 a III 1 ZPO§ (nicht aber in 211 III 3 SGG§ ) ausdrücklich geregelt. Dass der Gesetzgeber die Frage der Anfechtbarkeit für das ArbGG und das SGG unterschiedlich regeln wollte, wird man kaum annehmen können. 114 III ArbGG
Selbst wenn man aber der Ansicht des LAG folgt, heißt dies nach h. M. allerdings nicht, dass Entscheidungen nach §§ , 211 SGG jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen wären. Denn sie sind nach der in der Literatur herrschenden Auffassung zusammen mit der Hauptentscheidung anfechtbar, soweit sie sich darauf ausgewirkt hat (s. zu 114 ArbGG§ z. B. 128 a ZPOMüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 128 a Rn. 17; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 128 a Rn. 9; zu § s. 110 a SGGMKLS/B. Schmidt, § 110 a Rn. 16; anders aber BeckOK-ZPO/von Selle, § 128 a Rn. 15).
Der Autor ist Richter am Landgericht Oldenburg und betreibt einen Blog zum Zivilprozessrecht (https://www.zpoblog.de/).